Ich fang mal ein wenig weiter vorn an, damit ihr versteht, wie ich vielleicht auf manche Dinge komme. Ich habe einen Master in nachhaltigem Tourismus, genauer gesagt in “Responsible Tourism”. Den habe ich vor mittlerweile fast 10 Jahren gemacht, wo das Thema noch nicht überall war und gerade im Tourismus noch viel unnachhaltige Entscheidungen getroffen wurden. In der Uni wurde sehr bewusst das Wort “responsible” und nicht “sustainable” tourism genutzt. Die Idee dahinter ist, dass wenn wir das Wort Verantwortung nutzen, tatsächlich jemand verantwortlich ist für eine Veränderung und eine nachhaltige Entwicklung. Es “nur” nachhaltigen Tourismus zu nennen, lässt die Verantwortung offen und vielleicht nimmt sich dem dann niemand an.
Der Gedanke hat mir von Anfang an gut gefallen, denn ich finde es ist unser aller Verantwortung nachhaltige Entscheidungen zu treffen und die nachhaltige Entwicklung voran zu bringen. Ob das nun fair ist oder nicht, sei mal vollkommen dahin gestellt. Ich weiss, dass es Menschen gibt, die denken “ich hab es nicht kaputt gemacht, warum soll ich es reparieren”. Zum Glück sieht das nicht jeder so und ich finde das auch nicht ganz richtig. Das Bewusstsein hat sich genauso intensiv verstärkt wie die Entwicklung von alternativen Produkten, die nachhaltigere Entscheidungen dann unterstützen. Wegzuschauen ist in meinen Augen keine Option mehr!
Aber zurück zur Uni. Neben dem Fokus auf der Verantwortung, wurde in der Uni stets auf die drei Dimensionen der Nachhaltigkeit geachtet und darauf, dass sie im Gleichgewicht stehen sollten. Das hat mich geprägt. Im Tourismus ist es oftmals tatsächlich auch einfacher, vor allem die positiven wirtschaftlichen Aspekte von allen involvierten sind oftmals besser zu erklären als in anderen Bereichen. Aber nichts desto trotz finde ich es wichtig, dass Nachhaltigkeit als ein multidimensionales Thema verstanden wird.
Nachdem ihr nun wisst, wo quasi meine Grundprägung stattgefunden hat – und hier möchte ich kurz einschieben, dass es nicht nur die Dozenten, Professoren oder die Lektüren waren in der Uni, sondern vor allem viele meiner Mitstudenten, die Erfahrungen und tolle Ideen hatten – gehe ich einen Schritt weiter. Ich bin also in die Schweiz gekommen und habe mich im meinem Job mit der Entwicklung von nachhaltigen Tourismusprodukten auseinander setzen dürfen und was Destinationen brauchen, um diese zu vermarkten und damit Kunden anzulocken. Weg also von der Theorie und der “perfekten nachhaltigen Welt” und hin zur Realität. Wenig Geld, teils desinteressierte Kunden und grosse Konkurrenz. Das hat mich nur bestärkt, meine Definition von Nachhaltigkeit klarer zu gestalten für mich. Klarer und prägnanter. Und vor allem hat es mich noch mehr darin bestärkt, dass ich Verantwortung übernehmen möchte und auch parat bin, anderen zu helfen Verantwortung zu übernehmen indem ich ihnen die Last der Informationen und kritischen Fragen abnehme und Produkte anbieten, die wirklich nachhaltig sind.
Nachhaltigkeit ist für mich ein Versprechen, dass man nie aufhört zu lernen und neue Erkenntnisse zu nutzen, um sein eigenes Verhalten zu hinterfragen und gegebenenfalls anzupassen. Klingt eigentlich ganz einfach. Für mich ist Nachhaltigkeit ein multidimensionales Thema, sprich es gibt immer drei Dimensionen. Das heisst nicht, dass immer alles alle drei Dimensionen gleichwertig berücksichtigen muss, aber es sollte stets eine gute Erklärung geben, warum gewisse Dinge nicht berücksichtigt werden können.
Ich würde gerne noch einen kurzen Einschub starten, was denn genau die drei Dimensionen für mich bedeuteten bzw. wie ich sie beschreiben oder gar definieren würde.
Ökologische Nachhaltigkeit
Ökologie ist wohl das am häufigsten genutzte Synonym für Nachhaltigkeit. Doch bitte beachtet, es ist nur ein Aspekt. Nämlich der Umwelt mit dem eigenen Handeln nicht zu schaden. Das heisst in der Praxis auf Abgasemissionen zu achten, unnötige Transportwege zu vermeiden, saisonale Produkte zu geniessen, Bioanbau zu berücksichtigen falls möglich, Wasserverbrauch zu minimieren, neue Technologien zu nutzen, alternative Energien zu fördern, richtig heizen, Plastik zu vermeiden, die Ozeane dieser Welt nicht zu verschmutzen und das Tierwohl mit genügend Wichtigkeit zu bewerten. Eine ganz schön grosse Liste und die ist noch lange nicht fertig. Doch ich finde die ökologische Nachhaltigkeit ist fast am einfachsten umsetzbar – denn vieles hat man selber in der Hand bzw. kann man selber anpassen.Ihr könnt selber entscheiden, ob ihr Auto fahrt oder lieber Fahrrad, ob ihr Fleisch esst oder nicht. Wo und wie ihr einkauft. Ihr könnt das Wasser abstellen während ihr Zähne putzt, ihr könnt die Heizung abdrehen und und und. Das klingt jetzt alles ziemlich einfach, denn genau so ist es. Einfach machen quasi! Ihr als Konsument habt jede Menge Power und mit euren kleinen Entscheidungen, die ihr jeden Tag im Alltag trefft, könnt ihr das Angebot beeinflussen. Und damit auch die Umwelt positiv unterstützen.
Soziale Nachhaltigkeit
Mir ist die Bedeutung der sozialen Nachhaltigkeit tatsächlich erst während meines Studiums so richtig bewusst geworden. Es geht darum, niemanden zu benachteiligen und auf Dinge wie Gleichberechtigung, Integration, soziale Sicherheit, gute Arbeitsbedingungen und und und und zu achten. Das ist manchmal ziemlich schwer umzusetzen finde ich im Alltag. Denn diese Informationen zu finden ist nicht einfach. Das was häufig zu finden ist, sind irgendwelche Begriffe wie “Arbeitssicherheit nach ISO Norm xyz” oder “faire Bezahlung aller Mitarbeiter”. Aber mir persönlich fehlt hier oft der richtige Einblick. Und hier lohnt sich kritisches Nachfragen. Fragt einfach ganz direkt, was gemacht wird, wenn Mitarbeiter in der Fabrik in Asien krank werden – gibt es Lohnfortzahlungen oder muss die Familie in dem Monat Hunger leiden? Was gibt es für Krankenversicherung für die Leute? Wie wird sichergestellt, dass keine Kinder dort arbeiten oder es keine Ausbeutung gibt? Wie unterstützt die Produktionsfirma die Absicherung der Leute im Allgemeinen? Und warum wird überhaupt in China produziert und nicht irgendwo in Europa oder gar in der Schweiz. Die gleichen Fragen können aber auch bei Produzenten direkt in der Schweiz gestellt werden. Fakt ist, ein Produzent, der sich konsequent und ernsthaft mit der Thematik auseinandergesetzt hat, kann euch auf all diese Fragen eine Antwort geben. Das heisst nicht immer, dass es eine positive ist. Ich fühle mich bei Produzenten am wohlsten, die einfach offen kommunizieren, was gemacht wird und warum auch manche Dinge nicht gemacht werden. Denn diese zeigen mir, dass sie ein Bewusstsein für die Thematik haben. Und vor allem einen Plan, wie es denn in Zukunft noch besser werden kann.
Ökonomische Nachhaltigkeit
Ganz oft kommen Begriffe wie “faire Löhne”, “angemessene Preise” oder “ökologische Vorteile für alle Beteiligten” vor wenn es um ökonomische Nachhaltigkeit geht. Für mich bedeutet ökonomische Nachhaltigkeit, Verantwortung für alle ökonomischen Aspekte in der Produktionskette zu übernehmen. Das beginnt bereits bei der Auswahl des Produktionslandes – was bringt es denn wenn Firmen ihre Steuern richtig und pünktlich zahlen, mit den Steuergeldern aber Unterdrückungskampagnen für Homosexuelle finanziert werden? Gleichwert schlimm finde ich es, wenn von fairer Bezahlung gesprochen wird, in den Produktionsstätten aber keine einzige Frau zu finden ist, weil die nicht arbeiten dürfen. Oder aber eine Durchschnittsarbeitszeit von 12 Stunden “normal” sind. Die ökonomische Nachhaltigkeit ist sicherlich genauso schwer zu beurteilen von aussen wie die sozialen Aspekte der Thematik. Auch hier hilft nachfragen und kritisch hinterfragen. Vor allem warum manche Dinge gemacht werden wie sie gemacht werden.
Nachhaltigkeit ist für mich kein Thema, bei dem es um Perfektion geht, sondern um Entwicklung. Jeden Tag gibt es neue Erkenntnisse zu Materialien, Prozessen und Produktionsmöglichkeiten. Gleichzeitig wird der Markt viel grösser, was bedeutet, dass mehr Geld da ist und dies vernünftig genutzt werden kann. Aber all das ist ein Prozess und der braucht Zeit. Für mich gibt es daher zentrale Punkte in dem Bereich, wenn es darum geht, dass ich Firmen, Personen oder Produkte als nachhaltig beschreiben würde:
- Gibt es eine Entwicklung in Bezug auf die Thematik? Setzen sie sich tagtäglich mit dem Thema kritisch auseinander und setzen Erkenntnisse um?
- Gibt es eine offene Kommunikation und wird ebenfalls ehrlich und reflektiert kommuniziert, warum manche Dinge noch nicht umgesetzt sind?
- Ist es für die Firma/das Produkt/die Person überhaupt möglich, alle drei Dimensionen zu berücksichtigen oder ist es einfach nicht “machbar”?
- Wie wird auf kritische Nachfragen reagiert?
- Übernimmt man Verantwortung?
All das sind für mich Indizien, wie ernsthaft sich jemand mit der Thematik auseinander setzt. Ich sage euch immer wieder, dass ich weit weg bin von perfekt nachhaltig. Ich kann euch aber versichern, dass ich mich immer sehr kritisch damit auseinander setze und mir selber Ziele setze, wie ich mich verbessern möchte und wo ich Veränderungen für mich und mein Umfeld anstossen möchte. Ich versuche sehr offen damit umzugehen, dass ich “bewusst” Entscheidungen treffen, die nicht nachhaltig sind. Das nicht mit der Absicht, nicht nachhaltig zu sein, sondern weil die nachhaltige Variante nicht passend ist für mich oder meinen Lebensstil. Ganz oft kommt darauf ein Vorwurf, dass ich egoistisch bin und meinen Lebensstil über das Allgemeinwohl stelle. Das stimmt sicherlich in gewissen Aspekten und dafür entschuldige ich mich gerne. Meine Erklärung bleibt aber auch immer die gleiche: ich habe vor einer langen Zeit über mich gelernt, dass ich krasse Umstellungen in meinem Lebensstil oder etwas was einfach nicht passt, auch nicht durchziehen kann. Ich werde schnell frustriert und bin dann total auf Konfrontationskurs. Und dafür ist mir die Thematik zu wichtig. Ich möchte nicht, dass das Thema mich nervt oder ich es unterbewusst komplett in den Hintergrund stelle. Also tue ich was zu mir passt und integriere es Stück für Stück in mein Leben. So bleibt es dauerhaft und ist eine angenehme Umstellung und ich kann mich und meinen Lebensstil nachhaltig entwickeln.
Nachhaltigkeit ist ein kontroverses Thema. Manche von euch werden das hier lesen und denken “oh man, auf welchem Planeten lebt die Alte denn” und das ist vollkommen ok. Ich finde es toll, dass ihr mich kritisch hinterfragt und auch anstachelt mein eigenes Verhalten zu verbessern. Das macht mich besser! Aber dafür muss ich eure Meinung wissen, mit euch diskutieren und mich mit euch austauschen. Und für mich ist das ein zentraler Punkt in der nachhaltigen Entwicklung: redet miteinander, tauscht aus euch, diskutiert kritisch, fordert euch gegenseitig heraus und nehmt euch vor allem auch Zeit, die Informationen der anderen zu reflektieren.
Und hier kommen wir zurück zur Verantwortung: jemand, der diese nicht übernehmen möchte, dem ist es egal, ob andere seine Meinung kennen und ihm ist es nicht wichtig genug, mit anderen zu diskutieren, denn das braucht Kraft. Und ich bin vollkommen parat, immer und überall das Thema zu diskutieren und übernehme gerne die Verantwortung für mein eigenes Handeln und auch einen Teil für die nachhaltige Entwicklung aller.
Ich hoffe ihr könnt etwas mitnehmen aus der heutigen Folge “ungefragt” – vor allem dass ich immer parat bin, mit euch das Thema zu diskutieren und natürlich auch für sämtliche Fragen immer gerne zur Verfügung stehe.
